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Im Netz der Systeme

Werteorientierte Führungskräfteberatung

Thin border
Alles begann auf einer Party. Ein Bekannter fragte mich, ob ich nicht einen Berater kennen würde, der sein zerstrittenes Team wieder zusammen bringen könnte. Wir kamen ins Gespräch und wir machten einen Termin aus. So kam es zu einem intensiven Austausch über die Geschehnisse innerhalb der Firma sowie über die dortigen Machtverhältnisse. Das Team wurde mit den besten Ingenieuren aus Technik, Produktion, Software und Vertrieb zusammengestellt, Taskforce: Innovation. Sogar ein Softwareunternehmen mit neuem Know-how war eingekauft worden.
Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich: nichts funktionierte im Team. Interhierarisch und interdisziplinär kämpfte jeder gegen jeden. Die Produktions-verantwortlichen schimpften auf die Programmierer und so fort. Als die internen Dissonanzen schließlich vom Kunden zurückgespiegelt wurden, war der entstandene Schaden bereits immens. Es wurde Zeit, dass wir miteinander ins Gespräch kamen. Aber was war zu tun? Ich stellte mir drei entscheidende Fragen:
WAS WILL ICH?
Dieses komplexe soziale System durch werteorientierte Verhaltens-Interventionen auf der Steuerungsseite optimieren.
WAS KANN ICH?
Supervisionsmethoden (Einzelcoaching, Training, Team– und Organisationsentwicklung).

Ebenso wichtig: der immanente Sprachcode.

WAS DARF ICH?
Klare Zielvereinbarungen treffen und einhalten. Durchsetzungsvermögen bei Alphatieren zeigen. Mich nicht „verbiegen“ lassen. Aufträge auch ablehnen.
In medias res
Mitarbeiterführung hat ein zentrales Gewicht hinsichtlich des Erfolges in Organisationen. Je höher die Position innerhalb einer Hierarchie umso komplexer sind die Aufgaben, Rollen und Beziehungen. Umso relevanter sind die Reflexionen und das Erkennen der Muster auf der Verhaltensseite. Es gilt, Unterstützung zu leisten, die Muster-Komplexität zu reduzieren und negative Verhaltenswiederholungen aufzulösen. Denn es ist die Leitungsebene, die mit ihren Werten und ihrem Verhalten die Kultur eines Systems prägt. Diese Kultur prägt wiederum, die in ihr agierenden Subjekte.
Führungskräfte richten ihr Handeln oft auf Werte wie Leistung, Zielstrebigkeit und Pflichtbewusstsein aus. Nicht selten kollidieren diese mit den Werten der Mitarbeiter (Sicherheit, Gemeinschaftssinn, Freizeit). Verantwortung hingegen wirkt dort, wo Werte gelebt werden, sowohl die eigenen als auch die der anderen. Um potentialorientierte Verantwortungen delegieren zu können, ist eine respektvolle Vertrauensbeziehung zu den Mitarbeitern auf Leitungsebene unerlässlich. Dies intendiert jedoch einen Austausch der gegenseitigen Wertegerüste. Die Steuermanns-Kunst (Kybernetik) hat zum Ziel, Systeme intelligenter zu machen. Denn intelligente Systeme befördern die gegenseitige Ergänzung der Teammitglieder (Subsysteme). Nur so entsteht eine „summative Kraft“, die mehr Nutzeneffekte erzielt als die Summe seiner Mitglieder.
Dieser Gesamtkomplex lässt sich auf drei Bereiche herunter brechen: Systemische Selbst-, Team- und Unternehmensführung.
Systemische Selbstführung
Begleitung zur Selbstführung und Balance zwischen Berufs- und Privatebene, das heißt: Führungsverhalten reflektieren und optimieren. Führungskräfte müssen ihr Gefühlsleben und ihre Stimmungslage bewusst steuern lernen und dabei ihre Außenwirkung bedenken. Zu autoritär oder zu laissez-faire, jeder kann an der Nachbartugend wachsen. Voraussetzung aller Mitarbeiterführung ist neben emotionaler Intelligenz ein positives Menschenbild und die Integration des eigenen „Inneren Teams“. Nach Prof. Dr. Scharmer, dem Verfasser der Theorie-U (siehe Buchbesprechungen in dieser Ausgabe), bedeutet Führung „das höchst-mögliche eigene und das Potential der Mitarbeiter von der Zukunft in die Gegenwart zu holen.“
Systemische Teamführung
Jede Führungskraft bekommt das Team, das es verdient. Teamentwicklung beginnt mit der Analyse der Beziehung zwischen dem Teamleiter und dem Team. Wenn Teamprobleme in der Beziehung zwischen dem Teamleiter und dem Team vorkommen, dann wird zuerst mit dem Leiter und dann mit dem Team in speziellen Aufstellungen gearbeitet. Durch einen an-geleiteten Dialog kommen sich die Konfliktparteien wieder näher. Ziel ist die Rollen-, Aufgaben- und Beziehungsklärung aller. Wer hat welches Thema auf der Beziehungsebene mit wem? Klärung durch Einhalten der Gesprächsregeln, Rückmeldung aller und Kontrakte zwischen den Themenstellern. Der Beratungsablauf beinhaltet Einzelcoachings und Teamentwicklungsseminare.
Systemische Unternehmensführung
Führungskomplexität in Form eines Mobilés: Auf mehreren Ebenen sind Manager,Teamleiter und Mitarbeiter unter- und miteinander verbunden. Die Führung und ihre „Bewegungen“ bringen alle anderen Subsysteme in Bewegung. Auch wenn sich Mitarbeiter bewegen, bewegt sich das gesamte Mobilé formell wie informell. Soziale Systeme organisieren sich auch selbst, informelle Systeme kommunizieren ohne strukturelle Einbindung. Geschlossene Systeme sind nach innen stabil und haben wenig Kontakt nach außen, sie versuchen dauerhaft Stabilität zu erreichen. Ein offenes System unterliegt Veränderungen. Die Systeme sind miteinander ver-netzt. Bei der Entwicklung der Organisation begleitet der Berater die Führungskräfte in eine Balance zwischen Stabilität und Instabilität. Um auf ein neues kulturelles Organisationsniveau zu gelangen, müssen gezielt Stabilitäten gestört werden, die Veränderung von Strukturen und Verhalten erfolgen.
Zurück zum praktischen Beispiel:
Ich hatte den Auftrag zur Beratung des Vorstands in Fragen der Führung und Entwicklung des Teams hinsichtlich einer verbesserten Zusammenarbeit. So plante ich ein 2tägiges Seminar, um die zerstrittenen Führungskräfte wieder zusammen zu bringen.
Eine Kollegin unterstützte mich im Beratungsprozess, eine zweite Kollegin beobachtete diesen Prozess von außen (3.Auge).

Erster Seminartag

Vertrauen — Regeln — Themen
Stichworte: Sensibler Einstieg, Vorstellungsrunde, Erwartungsabfrage, Seminar- und Feed-backregeln und vertrauensvoller Umgang mit den angesprochenen Themen. Input Team-management, Aufstellungen, Werte, Themenanalyse, Reflexion.
Die Hauptkonflikte lagen innerhalb der Kommunikation, Beziehung und Kultur. Die Produktionsverantwortlichen hatten den Hauptdruck und einen eigenen Sprachcode, die Programmierer hingegen fühlten sich herabgesetzt, da sie aus einem kleinen und jungen Unternehmen kamen. Die jüngeren Führungskräfte wiederum hatten Ängste vor den Älteren und umgekehrt. Die Vertriebsleute waren redebegabt. Was sie alle verband, das war die Angst vor dem Scheitern des Projekts.

Zweiter Seminartag

Teamentwicklung — Streitkultur — Kooperation
Stichworte: Selbst- und Fremdbild, Analyse der Zusammenarbeit,Themenklärung, Reflexion, konkrete Kompromisse zwischen den Themenstellern.
Die Führungskräfte konnten zum ersten Mal in einem geschützten Raum über ihre Themen, Ängste, Probleme und Gefühle sprechen. Alle waren erstaunt und begeistert, dass durch die offene Aussprache keiner sein Gesicht verlor, da die Gesprächsregeln eingehalten wurden. Vermeintlich sachliche Appelle wurden nun auch mit dem Verständnis für die Beziehung zum Empfänger gesendet. Alle Kontrakte wurden geschlossen: Man einigte sich auf einen offenen und respektvollen Umgang miteinander.
Im Anschluss an das zweitägige Seminar folgten mehrere Einzelcoachings und Seminare zur Verfestigung der Ergebnisse. Wichtig waren dabei die Rückmeldungen der Prozessbegleiterinnen.
Im Ergebnis zeigte sich, dass hoch komplexe soziale Systeme Optimierung zulassen, wenn werteorientierte Interventionen auf der Verhaltensseite von Führungskräften angenommen und umgesetzt werden. Die Lösung ist in jedem Fall komplexer als das Problem. Umso wichtiger ist es, dass der Supervisor von seinen Klienten akzeptiert wird. Bald schon gelangen die Systeme zurück zu der effizienzstiftenden Synergie. So einfach kann es sein.
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Autor: Mark Thiel (*1969)
Dipl. Betriebswirt, Supervisor DGSv
Seit 1994 freie Beratertätigkeit in der Führungskräfte-Entwicklung, diverse Branchen & Lehrerfahrung in Personal- & Unternehmensführung an Hochschulen Buchautor „Diversity Management“ & Zusatzausbildung zum Strategieberater Lehrtätigkeit am Institut für Humanistische Psychologie IHP